KOMITAS und die Stille
Während seiner Zeit in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts vertonte der armenische Komponist Komitas Goethes Gedicht »Meeresstille«:
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.
Mit dem Wissen um sein Schicksal – Komitas überlebte schwer traumatisiert den Genozid an den Armeniern und verlor darüber seine
Stimme als Künstler – erscheint der Text wie eine dunkle Prophezeiung.
Bis heute bringt die Türkei Andersdenkende zum Schweigen.
Wie eine erlernte Kulturtechnik perpetuieren Regierung um Regierung
erfolgreich dieses Vorgehen. In der Ära Erdoğan jedoch scheinen
neue Untiefen erreicht. Gegen die erzwungene Stille stellt sich
Marc Sinan mit seiner Lecture Performance, in der er seine eigene
Betrachtung mit musikalischen Interventionen verbindet, die sich aus
seinen verschiedenen musiktheatralen und musikalischen Projekten
in Gedenken an die Ereignisse von 1915 speisen.
Marc Sinan ist Komponist und Gitarrist. Er ist Enkel einer Armenierin
und beschäftigt sich intensiv mit Fragen nach Zugehörigkeit und
transmedialer Zusammenarbeit zwischen Kulturen und Künsten.
Gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern erhielt er 2011 den Sonderpreis
der Deutschen UNESCO-Kommission. Im Jahre 2015,
anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern,
wurde im Berliner Maxim-Gorki-Theater sein musiktheatralisches
Projekt »Komitas« aufgeführt. Ende November 2015 feierte
das gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern entwickelte Konzertprojekt
»Aghet« seine Weltpremiere.