GLEISSENDES LICHT
Jede Form von Faschismus und Rassismus in Deutschland wird in den Schatten gestellt durch die Shoah, in der Unfassbarkeit ihrer Dimension, durch die bestialische Abgründigkeit menschlichen Handelns. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen können nicht begangen werden, ohne an die systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden Europas zu erinnern.
Antisemitismus, Faschismus, Rassismus sind und bleiben jedoch bis in unsere Gegenwart ein Teil der lebendigen Geschichte des Landes Thüringen. Von 1121 über 1933-45 bis in unsere Gegenwart des Jahres 2021 zieht sich die Spur, greift immer aufs Neue in das gesellschaftliche wie politische Leben ein und fordert weiterhin Opfer. Das müssen wir anerkennen, dem müssen wir uns stellen und das dürfen wir niemals vergessen.
In den Städten deutscher »Dichter und Denker« fordert wieder antisemitischer, rassistischer und menschenverachtender Terror seine Opfer. Und Opfer und ihre Angehörigen warten wieder und teils vergeblich auf ein klares Zeichen, ein Urteil, auf Gerechtigkeit. Jede fremdenfeindliche Tat, jeder antisemitische Übergriff, jeder menschenverachtende Terrorakt, jeder Angriff auf eine Synagoge, eine Moschee, eine Kirche, erinnert an die abgründige deutsche Geschichte und stellt sehr alte und neue Fragen nach Schuld, Rache, die (Un-)Möglichkeiten von Vergebung und Gerechtigkeit. Wann werden wir sagen dürfen, dass Gerechtigkeit geschehen ist? Wann wird es wieder hell, wann scheint wieder gleißendes Licht?
Batsheva Dagan, eine Überlebende des KZ Auschwitz schrieb 1945 einen offenen Brief an eine ihrer Peiniger:innen, die in Deutschland vor Gericht stand. Ein so berührendes, wie schonungsloses Plädoyer, das Gerechtigkeit und ein angemessenes Urteil für unaussprechliche Taten des Menschen am Menschen fordert und mit folgenden Worten endet: »…Wir verurteilen Sie zu leben und zu leiden, wie wir es taten und niemals wieder sollen Sie das Licht der Freiheit sehen.«
Das Projekt GLEISSENDES LICHT des türkisch-deutschen Komponisten Marc Sinan versucht im Hier und Jetzt eine zeitgenössische musikalische Befragung der Impulse von Schmerz und Klage, von Vergeltung und Rache. GLEISSENDES LICHT bindet das Gestern und das Heute, ist Verneigung vor den Opfern, ist bittere Anklage und der radikale Ruf nach einer Gerechtigkeit, die nicht mehr warten will und kann.
GLEISSENDES LICHT entfaltet eine Welt der Gegensätze und Gemeinsamkeiten und verbindet vier Orte musikalisch miteinander: Auf dem Ettersberg, in der Nähe des ehemaligen KZ Buchenwald, das für viele Überlebenden der Shoah noch immer für quälende Erinnerungen steht und für eine ehemalige Heimat, die sie auslöschen wollte, erklingt ein Knabenchor. Begleitet von der Staatskapelle Weimar sendet er einen Impuls nach Jena, den die Jenaer Philharmoniker gemeinsam mit dem Solist:innen-Ensemble AuditvVokal Dresden und vier Sänger:innen zu einem Oratorium steigern. Weitere Brücken nach Jena schlagen die junge israelische Schauspielerin Hadar Dimand, die in Tel Aviv Texte von Batstehva Dagan rezitiert und der Pianist Michael Wendeberg der auf dem Berliner Bebelplatz, wo einst die Bücherverbrennungen stattfanden, Teile aus Sinans multilokaler Komposition und weitere Werke von Mozart, Berg und Schumann spielt. Im Jenaer Volkshaus wird GLEISSENDES LICHT programmatisch durch „Tālā gaisma“ („Fernes Licht“) von Pēteris Vasks erweitert. Solistin in dem Konzert für Violine und Streichorchester ist Rosa Donata Milton, Stellvertretende Erste Konzertmeisterin der Jenaer Philharmonie.
Aus der konzertanten Gleichzeitigkeit in Buchenwald, Tel Aviv, Berlin und Jena entsteht durch eine audiovisuelle Verschränkung per Livestreaming eine mehrschichtige Gesamtkomposition – ein musikalisches Ritual der Erinnerns.
In dem Projekt GLEISSENDES LICHT trifft musikalische Schönheit auf die dunklen Abgründe menschlichen Handelns, gespielt, gesungen und gesprochen von einem heterogenen Ensemble.
Marc Sinan gibt Einblicke in seine Arbeit und das Projekt im rbb-inforadio, auf dem YouTube-Kanal von JenaKultur und als Gast des Tages bei rbbKultur.
Ein „Werk über die Shoa (…), das so tieflotend und alle Sinne ansprechend, das Publikum erschüttert“.
„Wie die von Hadar Dimand gesprochenen Texte mit den Solo-Stimmen verwoben, der Chor mit stampfendem Rhythmus Schuld, Gerechtigkeit und Vergebung skandierte, wie Michael Wendeberg auf dem Berliner Bebelplatz, dem Ort der Bücherverbrennung 1933, live auf dem Flügel konzertierte und seine kraftvollen Akkorde sich mit dem Spiel des Jenaer Orchesters verbanden, wie sich in Buchenwald klagende Klänge der Weimarer Blechbläser mit den berührenden, leise Hoffnung ankündigenden Knabenstimmen abwechselten und wie Simon Gaudenz verstand, das Ganze exakt zu koordinieren und musikalisch zu gestalten, war zutiefst berührend.“
Dietmar Ebert, OTZ, 01.10.2021

Gedenkstätte Buchenwald
Knabenchor der Jenaer Philharmonie, Bläserensemble der Staatskapelle Weimar
Tel Aviv
Hadar Dimand
Berlin
Michael Wendeberg
Jena
Jenaer Philharmonie, AuditivVokal Dresden, Andreas Fischer, Katia Guedes, Johanna Krödel, Johanna Vargas
Rosa Donata Milton, Violine
Komposition & Künstlerische Leitung
Marc Sinan
Musikalische Leitung Jena
Simon Gaudenz
Musikalische Leitung Weimar
Andrea Molino,
Berit Walther
Veranstalter
ACHAVA Festspiele Thüringen
Produktion
YMUSIC GmbH, Berlin
Fotos
Martin Kranz, Stefan Kranz
Ein Konzert im Rahmen der ACHAVA Festspiele Thüringen und des Themenjahres „Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen“.
In Kooperation mit der Jenaer Philharmonie, der Staatskapelle Weimar und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Gefördert durch #2021 JLID – Jüdisches Leben in Deutschland e.V. aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat.
Gedenkstätte Buchenwald
Knabenchor der Jenaer Philharmonie, Bläserensemble der Staatskapelle Weimar
Tel Aviv
Hadar Dimand
Berlin
Michael Wendeberg
Jena
Jenaer Philharmonie, AuditivVokal Dresden, Andreas Fischer, Katia Guedes, Johanna Krödel, Johanna Vargas
Rosa Donata Milton, Violine
Komposition & Künstlerische Leitung
Marc Sinan
Musikalische Leitung Jena
Simon Gaudenz
Musikalische Leitung Weimar
Andrea Molino,
Berit Walther
Veranstalter
ACHAVA Festspiele Thüringen
Produktion
YMUSIC GmbH, Berlin
Fotos
Martin Kranz, Stefan Kranz